Agnes Miegel (geb. 9. März 1879 in Königsberg; gest. 26. Oktober 1964 in Bad Salzuflen) gilt als die größte Dichterin Ostpreußens im 20. Jahrhundert und wichtigste deutsche Balladendichterin ihrer Zeit. Bereits im Kaiserreich wurde sie 1916 mit dem Kleist-Preis und während der Weimarer Republik 1924 mit der Ehrendoktorwürde der Universität Königsberg ausgezeichnet. In der Bundesrepublik Deutschland erhielt die bekannte und geschätzte Dichterin 1959 den Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste.
Die Berühmtheit Agnes Miegels kam den Nationalsozialisten nach der Machtergreifung sehr gelegen. Im Jahre 1933 wurde sie in die Sektion Dichtkunst der Preußischen Akademie der Künste aufgenommen. Die Nationalsozialisten glaubten, ihre eigene „Blut-und-Boden-Ideologie“ in Agnes Miegels Werken mit ostpreußischer und altpreußischer Thematik zu erkennen. In Wirklichkeit waren der Dichterin Rassismus oder Antisemitismus ebenso fremd wie Hass, Unrecht oder Intoleranz. Sie hatte zahlreiche jüdische Freunde und Bekannte und in ihren Werken findet sich ein deutliches Bekenntnis zur Menschlichkeit, Toleranz, Versöhnung und Verständigung auch über Grenzen hinweg. Niemals hat sie die Gewalt verherrlicht. Der nationalsozialistische Drang nach „Lebensraum im Osten“ war ihr fremd. Agnes Miegel war kein politisch denkender Mensch. Gleichwohl wurde sie von den Nationalsozialisten für deren Zwecke instrumentalisiert. Da sie die tatsächlichen Ziele der Bewegung nicht erkannte, erlag sie – wie viele andere Künstler auch – dem Bann Adolf Hitlers und seiner Propaganda, zumal er sich für das seit dem Versailler Vertrag 1919 vom übrigen Deutschland abgetrennte Ostpreußen als Retter darstellte. Die Liebe zu ihrer Heimat Ostpreußen darf nicht mit einem Bekenntnis zur nationalsozialistischen Ideologie verwechselt werden. Auftragsgedichte für das NS-Regime mit vorausgesetzten Lobsprüchen auf Hitler, deren Grundzüge und Komponenten vom Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda vorgegeben wurden, müssen vor allem emotional, nicht politisch verstanden werden. Allerdings gelang es Agnes Miegel auch in dieser Zeit, sich Freiräume zu verschaffen. In den Gedicht „Dem Schirmer des Volkes“ von 1939 sagte sie den nahenden Weltenbrand und Untergang voraus. Ein Jahr später, noch vor dem Angriff auf die Sowjetunion, prophezeite sie in einem Sammelband auch den bevorstehenden Verlust ihrer ostpreußischen Heimat. Mitglied der NSDAP wurde Agnes Miegel erst 1940. Dieses späte Eintrittsdatum spricht deutlich für eine lange und deutliche Distanzhaltung der Dichterin zum Regime. Mit Anneliese Goerdeler, der Ehefrau von Carl Friedrich Goerdeler, einer der zentralen Gestalten des Wiederstandes gegen Hitler, der nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 hingerichtet wurde, war die Dichterin während des „Dritten Reichs“ und danach eng befreundet.
Nach Kriegsende hörte Agnes Miegel entsetzt von dem im deutschen Namen begangenen Unrecht, den Gewalttaten und Konzentrationslagern, distanzierte sich öffentlich vom Nationalsozialismus und litt unter ihrem Irrtum, Hitlers Versprechungen geglaubt zu haben. Die 1949 erfolgte Entnazifizierung endete mit dem Urteil „unbelastet“ und der Feststellung, ihre Motive und Handlungen hätten niemals NS-Geist gezeigt. Revanchistische und revisionistische Gedanken lagen ihr nach Kriegsende fern. Bis zu ihrem Tode wurde Agnes Miegel von der bundesdeutschen Öffentlichkeit hoch geschätzt. An ihrem Alterswohnsitz in Bad Nenndorf empfing sie viele Besucher und Verehrer aus Literatur und Politik, darunter im Juni 1961 Willy Brandt, damals Kanzlerkandidat der SPD und Regierender Bürgermeister von Berlin. Nach ihrem Tod schickte die bundesdeutsche SPD-Führung unter Willy Brandt, Fritz Erler und Herbert Wehner ein Kondolenztelegramm, in dem sie ihr Beileid übermittelte und den Verlust für die Geisteswelt konstatierte, der mit Agnes Miegels Tod eingetreten war.